Rabenwind
Poesie von Sascha Besier

RABENWIND-BLOG

Blog von Sascha Besier: Gedichte, Kurzgeschichten, Aphorismen, Bonmots und mehr. Ich freue mich über einen Kommentar.


2020-11-16

Ein Brief zum Verständnis

Liebe Tanja,

endlich geht es mir, nach nun so vielen Jahren, wirklich richtig gut.
Ich hoffe doch, Du freust Dich ein bisschen mit mir. Zumindest solltest Du das, wo Du schließlich nicht ganz unschuldig daran bist, dass es mir äußerst beschissen ging, seit Du mich wegen dem anderen Kerl verlassen hattest. Nein, ich möchte Dich hiermit nicht anklagen, nachträglich anmotzen oder irgendwas ähnlich Gelagertes. Es ist aber nicht unwesentlich, Dich wissen zu lassen, warum die Dinge so gekommen sind, wie sie es sind. Schließlich möchte ich noch immer einfach nur, dass Du mich verstehst.
Weißt Du noch, warum Du mich ursächlich verlassen hast?
Richtig, ich war der Loser, der in seinem Leben einfach nichts auf die Reihe kriegte. Oh, nicht nur das. Du hast Dich auch von mir nie verstanden gefühlt, so wie Du es verdient hättest.
Während Du dafür sorgtest, dass wir beide so etwas wie ein Heim vorzuweisen hatten, bewegte mich nur selten etwas dazu, pragmatische und irdisch brauchbare Dinge zu tun. Ich verstand viel zuwenig von Deiner heimeligen Art, ein Zuhause zu schaffen und zu erhalten.
Meine Bedürfnisse waren da eher spartanisch. Kein Wunder, bei all den Dingen, die ich früher erdulden und erleiden musste. Ich war schon zufrieden, wenn es einfach gut lief, mir nicht das Seelenleben mal wieder auf sanfter Sparflamme gedünstet, danach durch den Fleischwolf gedreht, in Katzenfutterdosen verpackt und in die Auslage vom Supermarkt gestellt wurde, um an irgendwelche Lieben verfüttert zu werden.
Was interessierte mich da schon eine stets adrette Wohnung? Oder ein nach Außen vorzeigbares Leben?
Es mag überheblich klingen, wenn ich Dir sage, ich bin derjenige von uns beiden, der ein wesentlich breiter gefächertes Einfühlungsvermögen vorzuweisen hat, da ich viel härtere Dinge in der Kindheit erleben musste, kein sicheres und wohliges Kinderstübchen wie Du genossen hatte. Wohl hätte ich Dir gegenüber gerade deshalb genau die Toleranz und das Einfühlungsvermögen entgegenbringen müssen, wie meinen anderen Freunden. Aber ich erwartete einfach das Unmögliche von Dir: nämlich, dass Du mich verstehst und für mich in einer Weise da bist, wie ich es nie im Leben vorher erleben durfte.
Das war mein größter Fehler. Es war unfair.
Ich wollte nur, dass Du weißt, ich habe verstanden. Vielleicht hoffe ich auch bloß mal wieder, dass Du mich ebenfalls dadurch verstehst. Das ist ja meine ewige Triebfeder, die Sehnsucht, verstanden zu werden.
Wie auch immer …
Heute geht es mir jedenfalls sehr gut. Ich arbeite nicht nur wieder, sondern ich genieße es auch, und echter Erfolg scheint sich einzustellen. Künftig werde ich mir wohl Dinge leisten können, ein Leben leben können, wie es mir nie zuvor vergönnt war. Endlich fühle ich dabei nicht diese verfluchte Reue, wie ich sie bisher immer empfunden habe, sobald ich nur daran dachte. Das liegt mitunter daran, dass ich Dich endlich nicht mehr liebe. Ich bin vollkommen frei von Dir.
Ist das nicht toll?
Das war ja auch eines von diesen Dingen, die für Dich das Zusammenleben mit mir unerträglich werden ließen: das Fehlen einer Perspektive für die Zukunft. Ich gehörte nie zu der Sorte Mann, wo man sich ein unbeschwertes Familienleben vorstellen konnte. Ständig gab es Probleme mit der Arbeitswelt und mir.
Ich muss gestehen, Du hast das ziemlich tapfer ausgehalten. Natürlich dachte ich früher noch – naiv wie ich war – Liebe müsse so sein. Inzwischen begreife ich mehr. Durch mich warst auch Du schwach, sahst eine Welt, die Du in Deinem Leben nicht haben wolltest. Auch die ewige Kifferei, die Du ja fleißig mitgemacht hattest, schien Dir nicht mehr zu schmecken.
Aber wie es Deine gutmütige, philanthropische Art war, sprachst Du selbstverständlich nie ein Wort darüber. Es hätte mich schließlich verletzen können. Oder schlimmer: die Beziehung retten.
Dieses Vertrauen hattest Du jedoch nie zu mir. Anscheinend nur das Vertrauen, ich würde gar nichts verstehen, nur cholerisch auf alles reagieren, was Du vorzubringen hättest.
Mein Sein stellte für Dich bloß Desinteresse und Faulheit dar. Okay, nicht am Anfang unserer Beziehung, aber später schon. Du hast nicht verstanden bzw. konntest nicht wissen, wieso ich es nie lange in einem halbwegs guten Job ausgehalten habe, weshalb ich immer wieder von vorn anfangen musste.
Nun fühle ich mich geradezu verpflichtet, sozusagen um der alten Zeiten willen, Dir den Grund zu nennen.

Es war im ersten Jahr unserer Beziehung, als ich diesen Mann traf. Du warst Sechzehn, wohntest noch bei Deiner Mutter und ich hatte Dich bereits heimgebracht, um danach zurück zu meinen Kumpels ins Yesterday zu gehen. Wir hatten alle ordentlich getankt und unsere Lungen reichlich mit Gras bepflanzt.
Jedenfalls war da dieser Kerl, der den ganzen Abend schon still und alleine in der Ecke saß. Er schien sämtliches Licht in seiner Umgebung zu verschlucken. Na ja, unsere Stammkneipe war wie Du weißt ohnehin ein düsterer Hardrockbunker, aber der Kerl war einem Schwarzen Loch gleich, das alles aufsaugt, was sich im kalten Kosmos wagt zu leben, und seine Gesichtszüge waren kaum zu erkennen. Einzig die Augen schienen leicht rötlich im Dunkel zu glühen, umrahmt von langen, pechschwarzen Haaren. Überhaupt war er gänzlich in schwarzes Leder gehüllt. Wären nicht diese Augen und seine Aura gewesen, hätte er sich kein bisschen vom Rest des Publikums unterschieden.
Schließlich kam der Zeitpunkt, wo meine Blase mich aufforderte, die Urinale im Yesterday mit meiner Anwesenheit zu erfreuen. Also erhob ich mich vom Tisch mit einem: „Ich geh mal pissen, Freunde!“
Um zu den Toiletten zu gelangen, musste ich an diesem seltsamen glühäugigen Typen vorbei. Bereits zu diesem Zeitpunkt wirkte er unheimlich auf mich, aber wenn man so zugedröhnt ist wie ich an dem Abend und außerdem diesen eindringlichen Befehl seiner Blase bekommt, versucht man, sich einen Dreck aus so etwas zu machen. Also lief ich, so cool es eben ging, an Mr. Black Hole vorbei. Und in dem Moment fuhr mir eine Kälte in die Glieder die Michael Jackson vor Freude hätte aufjauchzen lassen, versprach sie doch, einen für die nächsten Jahrhunderte frisch und munter zu halten. Gut, höchstwahrscheinlich wäre Michael dann doch ebenso wie ich vom plötzlichen Fehlen jeglicher Atemluft ziemlich entsetzt gewesen. Kein Sauerstoffzelt in Sicht, aber der liebliche Geruch der urinverseuchten Toiletten, versprach die Rettung. Ob Jacko das auch so gesehen hätte?
Ich jedenfalls entleerte meine kurz zuvor schockgefrorene Blase, nur, um danach wieder nach oben und erneut an diesem Kerl vorbeizugehen.
Kaum oben angekommen, fühlte ich wieder diese Eiseskälte und die Atemnot. Diesmal packte mich zusätzlich und plötzlich seine Hand am Arm. Sofort wurde dieser taub, bis hoch an die Schulter. Ein unhörbarer Befehl erreichte die Tiefen meines bekifften Hirns und zwang meinen Körper, sich Mr. Black Hole gegenüberzusetzen.
Als ich saß, ließ er meinen Arm los, worauf das Gefühl kribbelnd zurückkehrte; und ich bekam auch wieder besser Luft. Die Kälte blieb jedoch.
Jetzt war es mir auch möglich, sein Gesicht besser zu erkennen. Neben den unnatürlich rotglühenden Augen besaß es ebenso unmenschlich schräge und markante Züge. Alles wirkte so glatt und perfekt, dass glasklar war, dies konnte unmöglich zu einem Menschen gehören. Der Fremde hatte zwar langes, schwarzes Haupthaar, jedoch war kein einziges in seinem Gesicht zu finden, nicht mal Brauen oder Wimpern. Die Nase war schmal und flach, die Lippen dunkelblau und hauchdünn.
Mit einem Mal umspielte ein sardonisches Lächeln sein Gesicht und er sprach mich mit meinem Namen an. Nicht nur, dass mich das erschreckte, nein, ebenso ließ mich erschauern, dass der Fremde anscheinend nicht atmete und beim Sprechen eine Art Ammoniakgeruch verströmte.
Was dann folgte, veränderte mein Leben für immer und bereitete mir bis vor kurzem seelische Qualen, wie Du sie Dir kaum vorzustellen vermagst.
Black Hole wollte, dass ich mit ihm ein Spielchen spiele. Er sagte, er suche hin und wieder einen Sterblichen, um sich mit ihm ein bisschen Spaß zu gönnen. Ich hätte die Wahl, auf der Stelle zu sterben oder mitzumachen. Auf welche Art ich sterben würde, müsste ich mich nicht lange fragen, da ich den Vorgeschmack darauf bereits genossen hätte.
Nein, Jacko hätte sicher genauso wenig Freude an diesem Fuck gehabt wie ich gerade. Trotz guter Kühlung.
Tja, was bleibt einem da schon für eine Wahl. Also willigte ich ein.
Daraufhin erklärte mir mein finsterer Freund, was zu tun war: Ich dürfte in meinem Leben niemals auch nur irgendeine Art von Erfolg auf finanzieller Ebene haben. Immer nur sollte ich gerade das tun, was mich am Leben hält, nie mehr. Die Liebe zu Dir dürfte ich leben. Allein das finanzielle Glück müsste ich vermeiden. Würde ich dem zuwider handeln, hätte das unwiderrufliche Konsequenzen. Falls ich je das Bedürfnis verspüren würde, es auszuprobieren, wäre er so fair, mir vor der eigentlichen Konsequenz eine Warnung zukommen zu lassen.

Wie Du weißt, liebe Tanja, hielt ich mich zu Deinem Leidwesen an diese Absprache, von der Du nichts wusstest. Nur einmal, nachdem dieses Ereignis bereits sieben Jahre zurücklag, wagte ich einen zaghaften Vorstoß auf beruflicher Ebene. Ich dachte, vielleicht sei Mr. Black Hole ja nur auf meinen Alkohol- und Graskonsum an dem Abend zurückzuführen, die ganze Story nur ein dummer Witz meines Dröhnehirns.
Also nahm ich den Job als Verkaufsleiter an, der uns beiden sowohl eine etwas bessere finanzielle Lage als auch unserer Beziehung einen Hoffnungsschimmer am Horizont bescheren sollte.
Doch kaum war die erste Gehaltsüberweisung auf meinem Konto, passierte es. Dir ist vielleicht nicht der unmittelbare Zusammenhang bewusst, aber es war genau an jenem Tag, als Deine Mutter unglücklich die Treppe zu ihrer Wohnung hinunterstürzte und sich das Genick brach.
Das war also die Warnung …

Ich kündigte die Stelle direkt am nächsten Tag. Und ich weiß noch, wie unglücklich Dich der plötzliche Tod Deiner Mutter machte. Es brach mir das Herz, mitanzusehen, wofür ich verantwortlich war. Aber ich konnte Dir das unmöglich erzählen. Weder wäre das ein Trost gewesen, noch hättest Du mir geglaubt. Wahrscheinlich hättest Du gedacht, ich würde mit Dir einen grausamen Spaß treiben. Es war ja schon schlimm genug für Dich, dass ich nun auch noch meine Stelle, in Deinen Augen völlig sinnlos, aufgab und Du wieder alleine für den Lebensunterhalt aufkommen musstest.

Mir blieb also nichts übrig, außer auf berufliches Glück und Erfüllung zu verzichten, wenn ich nicht wollte, dass die für mich persönlich weit schlimmere Konsequenz eintrat. Auf Gnade brauchte ich nicht hoffen, er würde es tun. Er hatte bei Deiner Mutter schon bewiesen, dass er nicht lange fackelte oder Lust auf Diskussionen hatte.
Aber schließlich hatte ich ja noch unsere Liebe. Irgendwie gelänge es mir schon, dachte ich, alles wieder so hinzubiegen, damit Du glücklich werden würdest. Schließlich kommt es doch nicht auf das Geld an. Was ich als Mensch für Dich darstelle, die Liebe und die Ideale sind ja wohl die wirklich wichtigen Dinge. Wie ich mich um meine damalige Naivität beneide …

Es dauerte von da ab noch ein knappes Jahr, bis zu jenem Zeitpunkt, an dem Du mich verlassen hast.
Ab da sackte ich dann so richtig ab. Irgendwie hielt ich mich mit dem Geld vom Amt und kleinen Gelegenheitsjobs über Wasser. Es reichte aber immer, um mir kräftig die Kante zu geben, damit wenigstens mein Hirn mal luxuriös baden konnte. Innerhalb von fünf Jahren machte ich aus mir ein richtiges Wrack. Was sollte ich auch sonst tun?

Glaub nicht, der Fremde wäre in dieser Zeit untätig gewesen. Immer wieder fand er mich irgendwo, nur, um mich zu versuchen. Schließlich gäbe es keinen Grund mehr, mich aufzuopfern. Er würde auch dafür sorgen, dass ich richtig Erfolg ernte, ganz egal, was ich mich entscheiden würde zu tun.
Ich blieb jedoch eisern. Was bedeutet schon Geld im Gegensatz zur Liebe?
Wie oft habe ich an Deine Tür geklopft, Tanja? Wohl wissend, dass dieser Thomas in Deinem Leben der angesagte Mann an Deiner Seite ist … Aber Du hast mich nicht einmal angehört, sondern mir diesen Pisser an den Hals gehetzt. Natürlich hat er mich, den doofen, nervenden Ex seiner Freundin, mit Freuden nach Strich und Faden verprügelt.
Erwähnte ich, dass ich deswegen drei Wochen von ganz reizenden Schwestern im Krankenhaus umsorgt wurde?

Dabei wollte ich doch immer nur, dass Du mich verstehst. Die ewige Triebfeder, die Sehnsucht, verstanden zu werden …

Vor einigen Monaten erfuhr ich dann, dass Du schwanger von Thomas bist. Mein Herz brach erneut. Von mir hast Du nie Kinder gewollt. Ja, ich weiß, ich war ja nur der Loser. Aber warum war ich das eigentlich? Ich bekam ja nie die Chance, es Dir zu erklären.
Wenigstens habe ich Dich nun sehr gut verstanden, wie ich ja bereits ziemlich am Anfang meines Briefes sagte. Ich verstehe Dich wirklich gut. Es ist eines jeden Menschen gutes Recht, für sich und sein Wohl zu sorgen.
Ich habe gelernt und quäle mich nun auch nicht mehr. So hast Du es ja schon früher immer von mir gefordert, ich solle mich nicht immer für andere quälen, sondern endlich mein Leben in die Hand nehmen. Das habe ich jetzt getan.

Um es auf den Punkt zu bringen: Die Konsequenz von Mr. Black Hole ist Dein Tod. Er wollte mir beweisen, dass Liebe mir kein Verständnis einbrächte. Besonders meine nicht. Letztlich würde ich mich für den Erfolg entscheiden. Und ich sagte ja bereits, dass ich wieder arbeite und sich echter Erfolg eingestellt hat.
Dieses eiskalte, atemberaubende Früchtchen hat mich doch tatsächlich richtig eingeschätzt. Ich bin wie alle anderen Menschen. Ist das nicht großartig?

Übrigens kommt übermorgen der erste Scheck für mein Buch.
Freust Du Dich für mich?
Zumindest verstehst Du mich jetzt, oder?

Ende

© Sascha Besier

Admin - 19:52:28 @ Geschichten | Kommentar hinzufügen